23. Mai 2023

Mündige Patienten

Mit Symptomen zum Arzt gehen? Bei Dr. Google bekommen wir schließlich Antworten ohne Wartezeiten und ohne Kontakt zu anderen Patienten. Doch ist das verantwortungsbewusst? Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Marie-Luise Dierks, Leiterin der Patientenuniversität an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).

Mündige Patientinnen und Patienten brauchen viele Fähigkeiten, um sich gut im Gesundheitssystem bewegen zu können und für sich oder ihre Angehörigen richtige Entscheidungen zu treffen – diese Fähigkeiten werden unter dem Begriff Gesundheitskompetenz zusammengefasst. Dass sie nicht bei allen Menschen gleichermaßen vorhanden sind, haben in den letzten Jahren Studien belegt. Besondere Aufmerksamkeit erregte der deutsche Health Literacy Survey, eine Untersuchung aus dem Jahr 2016, in der erstmals für Deutschland repräsentative Daten zum Thema Gesundheitskompetenz veröffentlicht wurden. Das Ergebnis: 54,3 Prozent der Menschen in Deutschland haben Schwierigkeiten damit, Informationen zu Gesundheit und Krankheit zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden. Wichtig bei der Beurteilung dieser Daten ist ein doppelter Blick auf die Gesundheitskompetenz und auf die Verantwortung der Beteiligten: zum einen auf die Fähigkeiten des Einzelnen, aber zum anderen auch auf die Verantwortung des Gesundheitssystems und der darin tätigen Akteurinnen und Akteure sowie Institutionen, die die Gesundheitskompetenz der Menschen berücksichtigen und aktiv fördern sollen. Das System sollte so transparent und einfach gestaltet sein, dass es allen Menschen leichtfällt, sich darin zurechtzufinden. Wie wichtig Gesundheitskompetenz ist, zeigt sich insbesondere in der Pandemiesituation, in der es auch darauf ankommt, für sich selbst, aber auch für andere Menschen gute Entscheidungen zu treffen.

Die Patientenuniversität

Im Lichte dieser Überlegungen haben wir im Jahr 2006 die erste deutsche Patientenuniversität an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) gegründet. Sie hat das Ziel, die Gesundheitskompetenz der Menschen zu fördern und die Informationsasymmetrie zwischen Bürgerinnen und Bürgern sowie dem Gesundheitssystem auszugleichen. Die Patientenuniversität bietet kostenlos für alle Interessierten Bildungsveranstaltungen zu Themen rund um Gesundheit und Krankheit an. Besucherinnen und Besucher können unabhängige, qualitativ hochwertige Informationen auf Grundlage der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse erhalten und sich mit Expertinnen und Experten darüber austauschen. Neben den Veranstaltungen an der MHH gehen wir mit dem Konzept sowohl in Betriebe als auch in Schulen. So vermitteln wir auch außerhalb der Universität die Themen – angepasst an die jeweiligen Gruppen.

Mit der Patientenuniversität kommt die MHH ihrer Verantwortung nach, den Stand des universitären und des Forschungswissens für die Bevölkerung aufzubereiten und in verständlicher Weise zu vermitteln.

Prinzipien der Wissensvermittlung

Die Veranstaltungen finden in einem besonderen Vermittlungsformat statt – nach den Expertenvorträgen können Teilnehmende an interaktiven Lernstationen ihr Wissen vertiefen, Medizin zum Anfassen erleben, an Modellen lernen, Experimente durchführen oder zum Beispiel unter Anleitung neue Dinge ausprobieren. Hier werden auch angehende Ärztinnen und Ärzte eingebunden, die an den Lernstationen selbst lernen, Wissen verständlich zu formulieren, auf Fragen gut einzugehen und ihre Verantwortung für ein gelingendes Gespräch zu erleben.
An den Lernstationen vermitteln wir nicht nur Wissen über den Körper, seine Funktionen, mögliche Erkrankungen oder die Verhinderung von Erkrankung. Wir bieten auch bei jeder Veranstaltung unterschiedliche Lernstationen an, die übergreifende Themen umfassen: zum Beispiel zu Patientenrechten oder zu Kriterien für eine qualitativ hochwertige Behandlung beziehungsweise ein gutes Krankenhaus.

Über die Patientenuniversität und die Lernstationen wird zudem ein kritisches Bewusstsein für die Qualität von Informationen im Internet geschaffen. Wir informieren über „Dr. Google“ und sicheres Surfen, qualitativ hochwertige Internetseiten, den Umgang mit Apps und neuen Technologien. Und wir stärken die Fähigkeit der Menschen, sich im Kontakt mit behandelnden Personen qualifiziert zu äußern, Fragen zu stellen, auch einmal hartnäckig zu bleiben, wenn sie etwas nicht gleich verstanden haben.

Dass wir mit der Patientenuniversität für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sinnvolle Arbeit leisten, zeigt sich an unterschiedlichen Fakten. Viele Menschen nehmen immer wieder an den Veranstaltungen teil. Und wir bemerken, dass die Fragen immer gezielter werden, dass das Wissen wächst und sich auch das Verhalten der Menschen ändert. So geben uns Besucherinnen und Besucher die Rückmeldung, dass sie sich im Kontakt mit medizinischem Fachpersonal zunehmend besser ausdrücken können und sich mehr als zuvor trauen, nachzufragen. Sie berichten auch davon, dass sie aktiv Verantwortung für sich und ihre Gesundheit übernehmen, bewusster die Angebote in der Gesundheitsversorgung wahrnehmen und kritischer auf Werbebotschaften zu Gesundheitsfragen schauen.

Unter den Bedingungen der Corona-Pandemie ist die Patientenuniversität digital geworden: Die Fachvorträge zu gesundheitsbezogenen Themen finden auf der Homepage www.patientenuniversitaet.de statt, die Zuschauerinnen und Zuschauer können per E-Mail oder in der Kommentarfunktion ihre Fragen stellen. Diese beantworten wir dann ungefähr drei Wochen nach dem ersten Ausstrahlungstermin ebenfalls in einem Videoformat. Auf diese Weise kann die Patientenuniversität auch überregional wirken.