15. Dezember 2022

„Engagementförderung ist wirkungsvoll, wenn Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft an einem Strang ziehen“

Interview mit Ehrenamtsforscherin Prof. Dr. Andrea Walter von der Hochschule für Polizei und Verwaltung NRW: Der Ehrenamtatlas – So engagiert sich NRW ist die Vermessung des freiwilligen Engagements in unserem Bundesland. Ein wahrer Datenschatz mit detaillierten Infos zu allen 53 Kreisen und kreisfreien Städten in NRW. Was diese Zahlen zeigen: Ehrenamt ist nicht nur unbezahlbar, das Engagement hat auch unter Corona gelitten. Ehrenamtsforscherin Professorin Dr. Andrea Walter hat die Erstellung des Ehrenamtatlas wissenschaftlich begleitet. In unserem aktuellen Interview erklärt sie, was die ehrenamtlich Engagierten heute bewegt – und was sie sich wünschen.

 

Ehrenamtliches Engagement pro Region

Bei der Vorstellung des Ehrenamtatlas im Frühjahr 2022 haben Sie davon gesprochen, dass es einen „Kraftakt“ brauchen werde, um die Menschen nach der Corona-Pandemie wieder ins Ehrenamt zu holen. Auffallend viele Frauen hatten sich ja beispielsweise aus dem Ehrenamt zurückgezogen. Wie weit sind wir Stand heute mit diesem Kraftakt?

Ehremamtsforscherin Andrea WalterProf. Dr. Andrea Walter: Diese Frage lässt sich leider nicht so einfach beantworten, da uns gesicherte Daten zu längerfristigen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Engagierte und ihre Organisationen fehlen. Aus Gesprächen mit Engagierten und auch auf Basis einer aktuellen Befragung, die wir gerade mit freiwilligen Feuerwehrkräften in einem NRW-Landkreis durchgeführt haben, geht hervor, dass Frauen regelmäßig den Wunsch nach einer Kinderbetreuung äußern, um ein Ehrenamt aufnehmen oder gar eine Leitungsaufgabe übernehmen zu können. Dies bestärkt meinen Eindruck, dass Frauen sich gern bzw. wieder verstärkter engagieren würden, die Care Arbeit jedoch oft eine Hürde für sie darstellt.

Weitgehende Einigkeit herrscht darüber, dass Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gemeinsam gefordert sind, um das Ehrenamt zu fördern. Sehen Sie, dass sich diesbezüglich etwas bewegt?

Tatsächlich ist Engagementförderung dann besonders wirkungsvoll, wenn Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft an einem Strang ziehen. Dies zeigen anschaulich Kooperationsprogramme wie etwa „Engagierte Stadt“ oder die in vielen Bundesländern und auch bereits in einigen Kommunen erarbeiteten Engagementstrategien. Hier führen Engagierte und Vertreter*innen aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft eine Bestandsaufnahme des Ehrenamts durch und entwickeln gemeinsam Zukunftsvisionen. Aktuell steht die Erarbeitung einer Neuauflage der Nationalen Engagementstrategie in den Startlöchern. Die Ampel-Koalition setzt hier auf eine breite Beteiligung. Dies ist eine gute Gelegenheit für Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft Engagement in Zeiten von Transformation gemeinsam strategisch zu gestalten und die Engagementförderung damit zukunftsfest aufzustellen.

„Wertschätzung wird für viele Engagierte in guten Rahmenbedingungen und in gelebter Anerkennung konkret.“

Prof. Dr. Andrea Walter (HSPV NRW)

Was bewegt das Ehrenamt aktuell?

In den aktuellen Zeiten multipler Krisen ist das Engagement geforderter denn je: Ob bei der Bewältigung von Corona-Auswirkungen, bei der Umsetzung der Klimaschutzziele oder bei der Integration geflüchteter Menschen aus der Ukraine. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass Engagierte und ihre Organisationen nicht nur Hoffnungsträger sind, sondern auch unter den Krisen leiden: Nachdem zunächst die Corona-Pandemie u.a. für Einnahmeneinbußen durch rückläufige Aktivitäten und Mitgliedsaustritte sorgte, steht mit der Energiekrise bereits die nächste große Herausforderung für Organisationen ins Haus. Sie müssen schauen, wie sie ihre Infrastruktur wie Vereinsheime oder Sporthallen und damit ihre Angebote trotz steigender Energiepreise aufrechterhalten können. Weiterhin sehr zu schaffen macht Organisationen zudem der Nachwuchsmangel – besonders für die Übernahme von ehrenamtlichen Leitungsfunktionen fehlen Freiwillige.

Es mangelt häufig nicht nur an Geld, vielen Ehrenamtlichen fehlt es laut Ehrenamtatlas auch an Wertschätzung. Haben Sie aus der Forschung heraus Antworten, wie diese Wertschätzung aussehen kann?

Wertschätzung wird für viele Engagierte in guten Rahmenbedingungen und in gelebter Anerkennung konkret. Zu guten Rahmenbedingungen im Ehrenamt zählt u.a. Absicherung wie Versicherungsschutz, aber auch das Vorhandensein von Ansprechpartnern in Kommunen und innerhalb der Organisation, in der das Engagement stattfindet. Zudem wissen wir aus der Forschung, dass Engagierten wichtig ist, dass ihr Engagement nicht als selbstverständlich wahrgenommen wird. Für sie ist bedeutsam, dass ihr Engagement vor Ort gesehen und anerkannt wird – von Bürgern, genauso wie von der Lokalpolitik. Mein Eindruck ist, dass sich das Thema Anerkennungskultur gerade stark wandelt: Anstatt Anstecknadeln oder Dankesfeiern mit großen Lobesreden, die für noch mehr Ehrenamtstermine im Kalender sorgen, wünschen sich Engagierte Qualifikationsangebote und auch Vergünstigungen, die einen Bezug zu ihrem Engagement haben; beispielweise ÖPNV-Vergünstigungen, reduzierte Mitgliedsbeiträge in Schwimmbädern, Fitnessstudios oder auch einen Gutschein für den Zoo-Besuch als Ausgleich für die Familie, die beispielsweise Vater oder Mutter für einen Feuerwehreinsatz entbehren musste.

Teaser-Foto: Prof. Dr. Andrea Walter mit der WestLotto-Geschäftsführung Andreas Kötter und Christiane Jansen. (Foto: Tack)

Der Ehrenamtatlas kurz erklärt:

Weitere Informationen rund um den Ehrenamtatlas finden Sie auch hier.